Fragwürdige Gutachten reißen Familien auseinander

Frontal 21 berichtete in seiner Sendung am 08.09.2015 über Gerichtsverfahren im Kindschaftsrecht, die auf der Grundlage mangelhafter Gutachten Familien zerstörten. Medienberichte dieser Art haben derzeit Konjunktur.

Wir müssen und können davon ausgehen, dass Journalistinnen und Journalisten sauber recherchieren und die erhobenen Vorwürfe in den meisten Fällen haltbar sind. Doch durch die oftmals vereinfachte Darstellung – oder wie es bei Reportern heißt: „zugespitzt“ formuliert – kann ein Zerrbild entstehen, das alle Gutachter über einen Kamm schert. Hinzu kommt, dass Sachzwänge und Rahmenbedingungen, die von der Justiz vorgegeben sind, nie oder nur sehr selten durch die Medien beleuchtet werden.

Nach der Ankündigung des Frontal 21 Beitrags im heute journal wandte sich das Fachgremium Rechtspsychologie bzw. die Sektion Rechtspsychologie im BDP an die zuständige Redaktion, um einen breiteren Blick auf die Thematik in der Berichterstattung zu ermöglichen. Leider ohne Erfolg.

Wir bemühen uns aber weiterhin durch ein Zugehen auf Journalistinnen und Journalisten, regelmäßige Kontaktpflege und intensive Gespräche das Verständnis für die komplexen rechtspsychologischen Themen zu schärfen und auch neue Aspekte in der Diskussion einzubringen.

Hier das Anschreiben an die Redaktion:

Sehr geehrte Frau Brecht,
mit großem Interesse habe ich gestern Abend die Vorankündigung des Beitrages von Michael Haselrieder und Beate Frenkel im heute journal gesehen. Und da ein größerer Bericht für heute Abend in Ihrer Sendung angekündigt ist, wende ich mich hiermit direkt an Sie:

Als Vorsitzende des föderativen Fachgremiums Rechtspsychologie in der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen darf ich betonen: die beiden größten psychologischen Verbände, der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) und die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), setzen sich mit Nachdruck für die Verbesserung von psychologischen Gutachten im Rechtswesen ein.

Daher haben wir auch eine engagierte Rolle im Konsensprozess der Berufsverbände und Kammern zur Verbesserung der Qualität von Gutachten im familiengerichtlichen Bereich übernommen. Beteiligte Verbände und Kammern im Prozess sind neben der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP), die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), der Deutscher Anwaltsverein (DAV), der Deutsche Familiengerichtstag (DFGT), die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), der Deutsche Juristinnenbund (djb), der Deutsche Richterbund (DRB), der Fachverband Systemisch-Lösungsorientierter Sachverständiger im Familienrecht (FSLS) sowie die Neue Richtervereinigung (NRV). Der Prozess wird vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz begleitet. Hier werden Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht entwickelt.

Wir begrüßen sehr, dass Unprofessionalität und mangelnde Kompetenz von schwarzen Schafen von Ihnen angeprangert werden!

Gleichzeitig bedauern wir aber sehr, dass in der journalistischen Zuspitzung alle Gutachter über einen Kamm geschert werden und die Vielschichtigkeit dieses Themas nicht ausreichend beleuchtet wird.

Eindrücklich macht sich das auch daran fest, dass die beiden größten Berufsverbände in Deutschland zu diesem Thema von Ihnen NICHT befragt werden. Stattdessen darf Prof. Leitner dem ZDF eine „Studie“ exklusiv vorlegen – deren wissenschaftliche Prüfung offenbar noch aussteht.

Einschätzungen von Prof. Leitner sind hoch umstritten. Ich verstehe, dass Prof. Leitner ein attraktiver Gesprächspartner für die Medien ist. Er selbst weiß, wen er anzusprechen hat, spitzt gerne zu und kann seine Sätze O-Ton-tauglich formulieren.

Solche Experten gibt es leider zu viele im Fernsehen. Echte Fachexpertise oft Fehlanzeige.

Die Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen steht für höchste Qualität bei der Erstellung forensischer Gutachten. Um PsychologInnen auf die besonderen Anforderungen der Gutachtertätigkeit vorzubereiten, hat die Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen die zertifizierte Weiterbildung zur Fachpsychologin bzw. zum Fachpsychologen für Rechtspsychologie etabliert.

Die Weiterbildung vermittelt PsychologInnen eine wissenschaftlich fundierte Zusatz-Qualifikation für psychologische Tätigkeiten im Rechtswesen und qualifiziert insbesondere für rechtspsychologische Sachverständigentätigkeit. Entscheidender Bestandteil der Weiterbildung ist die fachlich begleitete und supervidierte einschlägige Berufserfahrung in einer mindestens dreijährigen Praxis. Gutachterfähigkeiten kann man nur erlernen, wenn man sie anwendet.

Mit unserer zertifizierten Weiterbildung zur Fachpsychologin bzw. zum Fachpsychologen für Rechtspsychologie garantieren wir schon heute hohe Standards. Die Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen entwickelt die Standards kontinuierlich weiter und ist offen für jeden konstruktiven Austausch.

Mir ist bewusst, dass meine Email an Ihrer Berichterstattung heute Abend nichts ändern wird. Vielleicht trägt sie aber dazu bei, dass Sie bei der Recherche für Ihren nächsten Bericht in diesem Themenumfeld den Blick noch weiter fassen.

Vielen Dank und Ihnen heute Abend eine gute Sendung.

Beste Grüße
Anja Kannegießer

Vorsitzende des Fachgremiums Rechtspsychologie BDP/DGPs
Vorsitzende der Sektion Rechtspsychologie im BDP

Teilen auf: