Stellungnahmen zu Gerichtsentscheidungen: BVerfG E

Seitens der Sektion Rechtspsychologie erfolgt folgende Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde vom 22.12.2009 und dem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 22. Dezember 2010:

In beiden Verfahren geht es um die Problematik der Adoptionsmöglichkeit eines nicht leiblichen Kindes durch den anderen Lebenspartner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Dies ist eine kontrovers diskutierte Thematik nicht nur in Deutschland, sondern auch in den verschiedensten Kultur- und Gesellschaftskreisen.

Aus familienpsychologischer Sicht muss in der Diskussion das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen. Auf der Grundlage aktueller Forschung ist hierzu Folgendes festzustellen:

Aspekt: homosexuelle vs. heterosexuelle Eltern

Es ist davon auszugehen, dass Familienprozesse wie Erziehungskompetenzen und Bindungen wichtige Prädiktoren für die kindliche Entwicklung darstellen – insbesondere in Adoptivfamilien (Erich, S., Kanenberg, H., Case, K., Allen, T. & Bogdanos, T. (2009). An empirical analysis of factors affecting adolescent attachment in adoptive families with homosexual and straight parents, Children and Youth Services Review, 31, 398 – 404.). Eine große und steigende Anzahl von Untersuchungen zeigen, dass sexuell gleichgeschlechtlich orientierte Erwachsene kompetente Eltern sind  (Tasker, F. & Patterson, C.J.  2007; Research on lesbian and gay parenting: Retrospect and prospect. Journal of GLBT Family Studies, 3, 9 – 34; Rupp, M. 2009, Die Lebenssituation von Kindern in Gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften). Sie scheinen mit heterosexuell orientierten Eltern vergleichbare Erziehungsmethoden anzuwenden und Erziehungserfahrungen zu machen – insbesondere in Bezug auf Aspekte wie körperliche Zuneigung, Unterstützungsverhalten bei Problemen, Förderung von Autonomie und Unterstützung der schulischen Entwicklung. Auch wird von einem vergleichbaren Erleben in Bezug auf Erziehungsstress und Zufriedenheit in ihren Beziehungen berichtet.

Im Erziehungsverhalten zeigten sich gleichgeschlechtliche Paare darüber hinaus konsequenter; auch wurde ein höheres Maß an Responsivität sichtbar, d.h. sie stimmten ihre Reaktionen eher auf kindliche Bedürfnisse ab und erklärten Regeln ausführlicher. Es zeigte sich in der gleichgeschlechtlichen Beziehung ein Bedürfnis beider Eltern die Verantwortung gemeinsam zu tragen. Auch die Organisation von Beruf und Haushalt war in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften zeitlich und inhaltlich gleichmäßiger verteilt als bei heterosexuellen Paaren.

Aspekt: Kind homosexueller vs. heterosexueller Eltern

Neben diesem Aspekt elterlicher Kompetenzen ist zu bedenken, dass die Eltern-Kind-Beziehung nicht für alle Teilbereiche der Kindesentwicklung in gleichem Maße eine Bedeutung entwickelt. Insbesondere sind biologische Einflüsse und andere geschlechtstypische Sozialisationen für die frühkindliche Entwicklung der Geschlechtsidentität wichtiger als elterliche sexuelle Orientierung. Vor diesem Hintergrund logisch konsequent zeigen bisherige Untersuchungen, dass Kinder gleichgeschlechtlicher Eltern in einer Vielzahl von psychologischen Kompetenzen, z.B. Verhaltensauffälligkeiten, geschlechterrollenspezifischen Verhaltens und Aktivitäten, vergleichbar abschneiden wie Kinder heterosexueller Eltern (s. zur Übersicht: Goldberg, A.E. (2009). Lesbian and gay parents and their children; Research on the family life cycle. Washington, DC: American Psychological Association). Kinder, die von gleichgeschlechtlichen Eltern adoptiert wurden, entwickelten sich genauso gut wie Kinder, die von heterosexuellen Eltern adoptiert wurden. Auch zeigten sie eine typische geschlechterspezifische Entwicklung (Kinder Farr, R.H., Forssell, S.L. & Patterson, C.J. (2010) Parenting and Child Development in Adoptive Families: Does Parental Sexual orientation Matter? Applied Development Science, 14(3), 164 – 178.). So unterschieden sich Kinder homosexueller Paare in Bezug auf die Aspekte Geschlechtsidentität, Geschlechtsrollenverhalten und sexuelle Orientierung nicht von Kindern heterosexueller Paare. Sie zeigten keine vermehrten Störungen oder Konfusion der Geschlechtsidentität, sondern ein Geschlechtsrollenverhalten, das innerhalb des Normbereichs lag. Auch gab es keinen Hinweis darauf, dass die Kinder häufiger gleichgeschlechtlich orientiert seien.

Jedoch ist auch zu bedenken, dass die teilweise tief verwurzelte Vorstellung, dass Kinder einen weiblichen und einen männlichen Elternteil zur optimalen Entwicklung benötigten, zu der Konsequenz führen kann, dass Kinder, aufgezogen von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, in der Konfrontation mit diesen traditionellen Überzeugungen Schwierigkeiten begegnen (Biblarz, T.J. & Stacey, J. (2010); How does the Gender of parents matter?, Journal fo Marriage and Family, 72, 3-22). Doch weisen bisherige Untersuchungen darauf hin, dass Kinder gleichgeschlechtlicher Eltern trotz eines gewissen Risikos, soziale Diskriminierungen zu erleben, in der Regel gut sozial integriert, sogar eher weniger psychiatrisch auffällig waren. Teilweise war ein starkes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl bei den Kindern sowie ein Erlernen von Bewältigungsstrategien im offenen Umgang mit der Lebenssituation zu finden. Zudem ist zu bedenken, dass das Aufwachsen bei zwei gleichgeschlechtlichen Bezugspersonen eine Lebensform ist, die in der Gesellschaft mittlerweile – zumindest – vermehrt anerkannt und akzeptiert ist.

Aspekt: Bedeutung im Rahmen einer Adoption

Unter Kindeswohl-Gesichtspunkten ist im Rahmen von Adoption aus familienpsychologischer Sicht darauf hinzuweisen, dass sich ein fester Rahmen und Organisation der Familie auch auf interne Strukturen auswirkt: Es fördert das Zugehörigkeitsgefühl bei den Kindern und Verantwortungsgefühl bei den Eltern. Da die Stabilität und Festigung einer Beziehung ein Einflussfaktor in der Kindererziehung darstellt, also die Lebenspartnerschaft als Verantwortungsgemeinschaft Bedeutung erhält, wirkt sich eine rechtliche Gleichstellung der Lebenspartner positiv auf die Beziehung und damit auf das Kind aus.

Zudem ist zu bedenken, dass eine nach außen kenntlich gemachte Anerkennung der Elternstellung positive Effekte im Sinne einer Reduktion elterlichen Stresserlebens haben kann, was sich ebenfalls als relevante Variable im Familienprozess positiv auf die Entwicklung eines Kindes auswirken kann.

Nicht zuletzt verbessert eine Adoption die Rechtsstellung in unterhalts- und  erbrechtlichen Punkten. Hier liegt es nahe, dass ein einzeln adoptiertes Kind ein höheres Bedürfnis nach weiterer sozialer und finanzieller Absicherung haben dürfte als ein leibliches Kind.

Insgesamt ist allein schon vor dem Hintergrund bestehender gesellschaftlicher Entwicklung, in der sich eine Pluralisierung der Lebens- und Familienformen vollzieht, ein Überdenken des traditionellen Familienbegriffs notwendig. Die in der Diskussion angeführten Argumente sind oftmals ideologischer Natur, die sich jedoch nicht oder allenfalls rudimentär mit bisherigen Forschungsergebnisse in Einklang bringen lassen. Unter Kindeswohlgesichtspunkten ist aus familienpsychologischer Sicht eine Möglichkeit der Adoption eines nichtleiblichen Kindes durch den Lebenspartner in einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen  Lebensgemeinschaft zu befürworten.

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